(Einführungs-) Erfahrungen mit Lernpass plus an der Sek eins Höfe


Für das Schuljahr 2019/20 suchte der Kanton Schwyz für ein Pilotjahr zwei Schulen des 3. Zyklus (7. – 9. Klasse), welche Lernpass plus testen. Geplant ist die Einführung von Lernpass plus und Stellwerk 2.0 für alle Oberstufen des Kantons Schwyz auf das Schuljahr 2020/21. Gerne nimmt die Sek eins Höfe die Gelegenheit wahr, schon in diesem Schuljahr mit Lernpass plus zu arbeiten und Pilotschule für die Einführung von Lernpass plus zu sein. Für weitere Informationen zu Lernpass plus siehe auch https://lernpassplus.ch/

 

Das bisherige Fazit gleich zu Beginn
Lernpass plus kann …

+ liefert Hinweise auf das individuelle Kompetenzniveau
+ stellt individuelle Förderaufgaben zusammen
+ Lehrperson kann eigene Übungsserien zusammenstellen
+ unterstützt kompetenzorientierte, stofforientierte Übungsphasen und das eigenständige Lernen
+ ermöglicht/unterstützt Lehrpersonen bei der Individualisierung und in der Rolle als Lernbegleiter
+ Planungstool bieten interessante Möglichkeiten
+ ermöglicht ortsunabhängiges Lernen
+ lässt sich relativ einfach administrieren
+ Standortbestimmung (Stellwerk) ist Bestandteil

+/- fokussiert auf Stufenkompetenzen (Jahreskompetenzen), d.h. die SuS bekommen auch Aufgaben aus noch nicht besprochenen Themengebieten
+/- blosses Testen und Aufgabenserien garantieren nicht automatisch nachhaltige Kompetenzerreichung und gute Lernprozesse. Kontinuierliche Unterstützung durch ein adaptives Lernsystem kann gute Unterstützung für das eigenständige, individuelle Lernen bieten. Die Lernprozesse und die Kompetenzerreichung müssen kritisch beobachtet werden.
+/- Solche Lernsysteme generieren heikle, individualisierte Daten, welche äusserst sorgfältig gespeichert werden müssen (Big Data …)

– Orientierungstests sind wertvoll, beanspruchen aber (zu) viel Unterrichtszeit und bedingen einer guten Planung und entsprechender Absprachen
– für die Erstellung eigener Aufgabenserien sollten die Filtermöglichkeiten besser sein
– direkte Hilfemöglichkeiten, Tutorials zu den Lerninhalten stehen nicht zur Verfügung
– Lernpass plus ist noch im Aufbau und muss weiterentwickelt werden. Die bis jetzt vorgesehen Entwicklungsbereiche sind zwar im Aufbau, angekündet, aber eben z. T. noch nicht verfügbar. In der Weiterentwicklung liegen auch Chancen. Ob «kantonale» Lernsysteme nicht von Lernsystem von grossen Verlagen oder Konzernen überholt und abgelöst werden, ist vielleicht auch noch eine offene Frage.

! Eine gute Einführung für die Lehrpersonen und die Schulleitung ist sehr zu empfehlen. Nebst den technischen Möglichkeiten geht es auch darum, die Lernphilosophie zu verstehen, welche hinter Lernpass plus steht. Konkrete Hinweise zum pädagogischen Einsatz sind erforderlich. Diese müssen mehr als die Planung der Orientierungstest umfassen. Es ist zu hoffen, dass der Kanton entsprechende Massnahmen unterstützt.

 

Bisherige Erfahrungen an der Sek eins Höfe

Vorbereitende Admin-Arbeiten
geben Arbeit, klappen aber gut: Schule anmelden (Schulleitung), erfassen der Klassen (Schulleitung), erfassen der Lehrpersonen (Schulleitung), erstellen der Importlisten für die Klassen (Schulleitung oder Lehrpersonen), importieren der SuS in die Klassen (Schulleitung oder Lehrpersonen), Lizenzen zuteilen und die Lehrpersonen-Logins verschicken (Schulleitung), Teamtecher hinzufügen (Lehrpersonen) – siehe auch gut gemachte Anleitungen auf Lernpass plus.

Um das Lernfördersystem gewinnbringend einzusetzen, ist es notwendig, das Lern-Verständnis, welches hinter Lernpass plus steckt zu verstehen. Um einen guten Start zu haben, organisierten wir eine Einführung mit einer Referentin des Verlags, welche an einer Schulkonferenz allen Lehrpersonen eine Einführung zum Lernverständnis und zu den Möglichkeiten von Lernpass plus gab. Obwohl man auf der Website von Lernpass plus auch Informationen findet ist, ist eine solche Einführung sehr zu empfehlen. Ich erachte es als ungünstig, dass die Lehrpersonen die Logins bekommen und dann einfach einmal ausprobieren resp. sich alle selber dazu informieren. Frustrierende Erlebnisse und nicht ideale Einsätze von Lernpass plus wären so fast vorprogrammiert. Aus meiner Sicht wurde die informative und motivierende Einführungsveranstaltung geschätzt.

Lernpass plus im Einsatz in den einzelnen Fachbereichen

Allgemein / Erste Schritte
Für das technische Handling stellt Lernpass plus auf der Website unter der Rubrik «Schulung und Dokumente» Unterlagen und einen E-Learning-Kurs mit anschaulichen Videos zur Verfügung. https://lernpassplus.ch/schulung-und-dokumente/
Gut eingearbeitete Lehrpersonen könnten den SuS zum Kennenlernen selber generierte Aufgabensets zur Verfügung stellen. Ein pragmatischer Weg kann auch sein, gerade mit einem Orientierungstest zu starten und das System anschliessend für alle SuS individuelle Aufgabensets generieren zu lassen.

Orientierungstests – Planung ist wichtig
In der Mathematik stehen drei Bereiche («Zahl und Variable», «Form und Raum», Grössen, Funktionen, Daten und Zufall»), im Deutsch, Englisch und Französisch ebenfalls je drei Bereiche («Hören, «Lesen», «Sprache im Fokus») als Stufenorientierungstest zur Verfügung. Die Orientierungstest sind zum Start, als Zwischenkontrollen vorgesehen. Die Orientierungstests müssen in der Schule durchgeführt und können unterbrochen werden. Sie dauern häufig mehr als eine Lektion. Würde man so betrachtet in jedem Fach alle Bereiche zur Orientierung und Adaptierung dreimal im Jahr testen, so würde dies mindestens 36 Lektionen Orientierungstest machen bedeuten, was vermutlich klar zu viel ist. Daher sind eine Planung und eine zeitliche Absprache auch zwischen den Fachbereichen angezeigt.

Stellwerk (Standortbestimmung)
Die bekannten und obligatorischen Stellwerk-Tests für das 8. und 9. Schuljahr sind in Lernpass plus integriert und müssen zusätzlich durchgeführt werden.

Erfahrung aus den Fachbereichen Deutsch und Mathematik

Englisch, Französisch und Natur und Technik
Lernpass plus ist eine dynamische Lernplattform und wird kontinuierlich weiterentwickelt. Die Förderaufgaben in den Fremdsprachen Englisch und Französisch sowie in Natur und Technik stehen momentan noch nicht zur Verfügung. In den Fremdsprachen können die Orientierungstest aber bereits durchgeführt und so der Lernstand erhoben werden. Es ist sehr zu hoffen – und aus momentaner Sicht sieht es gut aus – dass Lernpass plus langfristig weiterentwickelt wird.

Deutsch
Für die Lehrperson ist es einfach und mit wenigen Klicks möglich, die Orientierungstests für die SuS zur Verfügung zu stellen. Wie erwähnt, ist eine gezielte Planung der Bereiche und der Frequenz sinnvoll. Die Orientierungstests werden zu Beginn und am besten mit der ganzen Klasse durchgeführt. Später sind auch individuelle oder klassenweise Orientierungsüberprüfungen denkbar. Die Tests können unterbrochen werden. Sie dauern häufig mehr als 45 Minuten und sind für die SuS anstrengend. Als Ergebnis erhalten die SuS je nach Einstellung Punkte oder eine Kompetenzstufe, welche auch in Worten ausgeführt wird. Die Ergebnisse wurden von unseren Lehrpersonen, im Rahmen gesehen, durchaus als aussagekräftig eingestuft.
Aufgrund der Testresultate stellt das System adaptiv individuelle Aufgabenserien zur Förderung zusammen. Die Übungsserien können je nach Einstellungen wiederholt werden oder das System generiert die nächste Übungsserie. Zur gezielteren Übung können Lehrpersonen für die ganze Klasse oder beliebige SuS selber mittels Schnellauswahl oder manueller Auswahl Aufgabenserien zusammen- und bereitstellen. Dies bedeutet in der Vorbereitung für die Lehrperson Mehraufwand, dafür können noch gezielter Förderaufgaben zusammengestellt werden. Bei der Zusammenstellung wären noch differenziertere Filtermöglichkeiten – siehe Ausführungen zum Fach Mathematik – mehr als praktisch. Bis jetzt haben an unserer Schule wenige Lehrpersonen Aufgaben im Bereich Deutsch selber zusammengestellt. Vermutlich können die Förderaufgaben im Sprachbereich einfacher genutzt werden, auch wenn der Inhalt zu Beginn des Schuljahres noch nicht besprochen wurde.
Insgesamt arbeiten sowohl SuS als auch recht viele Lehrpersonen soweit einmal gerne und regelmässig – z.B. wöchentlich 1-2 Lektionen mit den Orientierungstests und den individuell automatisch zusammengestellten Aufgaben und nützen diese Arbeitsweise auch für individuelles Coaching. Stichwort Lehrperson als Lernbegleiter.

Mathematik
Grundsätzlich gelten die für das Fach Deutsch gemachten Ausführungen auch für die Mathematik. Eine Schwierigkeit – insbesondere für das 7. Schuljahr ist – dass die Orientierungstests jeweils alle Kompetenzen des ganzen Schuljahres testen und auch entsprechende Förderserien zusammenstellen. So ist es für die Schülerinnen z. T. recht schwierig bis frustrierend, wenn sie häufig Aufgaben aus Themengebieten bekommen, welche sie noch nie besprochen haben und auch kaum lösen können. Für SuS ist so bei Förderaufgaben manchmal gar nicht so einfach zu erkennen, ob sie eine Aufgabe können sollten oder ob die Aufgabe ein neues Themengebiet betrifft und wie sie mit dieser Aufgabe in diesem Fall verfahren sollen.

Planungstools
Den SuS und den Lehrpersonen steht ein interessantes, interaktives, elektronisches Lernjournal zur Verfügung. Sind der Stundenplan und die Fächer der Schule hinterlegt (Administration) können die SuS zum Beispiel dies zum Planen von Selbstlernsequenzen gut einsetzen. Auch sind einfache Reflexionsmöglichkeiten vorhanden und die Lehrperson kann sich mit den einzelnen SuS elektronisch austauschen.
Förderaufgaben – Lernen mit Lernpass plus
Bei Lernpass plus steht weniger die direkte Unterstützung der aktuellen Lektionsreihe (der aktuellen Kompetenzen) im Vordergrund. Für eine solche Förderung müssen die Lehrpersonen eher selber Aufgaben aus dem Aufgabenpool zusammenstellen (Schnellauswahl oder manuelle Auswahl). Dies wurde bei uns bisher noch wenig genutzt. Vielleicht fehlt die Routine dazu, es ist (noch) zu zeitaufwändig oder gezieltere Filtermöglichkeiten, welche diese Arbeit unterstützen würden, sind zu wenig vorhanden.

Die adaptiv, automatisch und individuell zusammengestellten Aufgabenserien haben die individuellen Kompetenzen der SuS im Jahresüberblick (Inhalte des ganzen Schuljahres) im Fokus. Wie erwähnt, führt dies dazu, dass SuS immer wieder und im Verlaufe des Schuljahres mit immer weniger Aufgaben konfrontiert werden, welche noch nicht thematisiert wurden. Dies hat verschiedene Effekte. SuS können sich vielleicht schon im Voraus erfolgreich mit Aufgaben beschäftigen, bringen sich selber etwas bei, sind verunsichert bis frustriert. Regelmässig eingesetzt sollte dies auch dazu führen, dass die SuS sich vertiefter, umfassender und individueller mit den persönlichen Kompetenzen auseinandersetzen. Ob testen und Aufgabenserien lösen mit wenig Erklärungs- und Hilfemöglichkeiten auch nachhaltig die gewünschten Kompetenzen fördern, gilt es kritisch zu beobachten. Auch kann sich bei einigen SuS ein gewisser Ermüdungseffekt einstellen. So denken wir, dass der Lernprozess trotz Unterstützung des adaptiven Lernsystem gut begleitet und unterstützt werden muss. Sicher werden die einführenden und grundlegenden Lerninhalte nach wie vor in anderen Unterrichtssetting erarbeitet. Für die individuelle Repetition und Vertiefung von Kompetenzen kann Lernpass plus gute Dienste leisten. Auch ermöglicht es Lehrpersonen während diesen Unterrichtsphasen in der Rolle als Lernbegleiter und Lerncoach SuS individuell zu begleiten. Gerade in der Kombination mit anderen eigenverantwortlichen, individuellen Unterrichtssettings (SOL, Lernateliers …) kann Lernpass plus zusätzlich interessant sein.

Kooperative Lernformen: Etherpad und das schriftliche Argumentieren

Die schriftliche Argumentation ist für viele meiner Jugendlichen die Königsdisziplin des Deutschunterrichts. Es fällt ihnen schwer, ihre Gedanken strukturiert und überzeugend auf Papier zu bringen. Bei mündlichen Diskussionen hingegen sprudeln die Lernenden nur so von kreativen und (zugegebenermassen nur teilweise) sachlichen Argumenten. Besonders dann, wenn einer meiner Entscheide auf Unverständnis stösst…
Dennoch, hier ist Potential vorhanden!

Als Vorbereitung auf die summative Lernkontrolle der schriftlichen Argumentation habe ich mich dazu entschieden, den dialogischen Charakter der mündlichen Argumentation beizubehalten und in schriftlicher Form aufzugreifen. Das Resultat war interessant.

Zu Beginn der Lektion repetierten wir nochmals kurz den Aufbau eines dreigliedrigen Arguments. Wir starteten mit mündlichen Diskussionen zu aktuellen Themen aus der Erfahrungswelt der Jugendlichen. Anschliessend stellte ich den Lernenden das anonyme Rollenspiel auf Etherpad vor. Alle Jugendlichen schlüpften in die Rolle einer Person und mussten aus dieser Perspektive für ihren Standpunkt argumentieren. Während der Schreibphase herrschte dann absolutes Sprechverbot. Nur schriftlich durfte kommuniziert, diskutiert und argumentiert werden. Die Rollen wurden erst am Ende der Lektion aufgelöst und reflektiert.

Selten habe ich eine solch ruhige und konzentrierte Lektion erlebt. Vereinzeltes Kichern war das einzige, das ich während 20 Minuten zu hören kriegte. Die Lernenden tippten wie wild auf ihrer Tastatur herum und waren bestrebt, ihre Meinung zu äussern.

Insgesamt eine gelungene Lektion, aber Vorsicht:

  • Die Texte können auf Etherpad zeitlich synchron bearbeitet werden. Dies bedeutet auch, dass die Lernenden gegenseitig ihre Texte löschen und bearbeiten können.
    Gut zu wissen: Auch diesen Umstand kann man als Lehrperson thematisieren. Mit dem Timeslider können auch gelöschte Inhalte wieder sichtbar gemacht werden. Die Lehrperson hat jederzeit Zugriff auf alle Etherpads. Stichwort: Verantwortungsvoller Umgang im Netz – das Internet vergisst nie!
  • Die Gefahr besteht auch hier, dass schnell Abstand genommen wird von der strukturierten Argumentation. Es muss darauf geachtet werden, dass der Meinungsaustausch formal und sprachlich nicht zu stark in die Mündlichkeit abdriftet.
    Hier kann man die grundlegenden Unterschiede zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit zum Thema machen.
  • Bei Etherpad handelt es sich nicht um eine Textverarbeitungssoftware, sondern um einen webbasierten Texteditor zur kollaborativen Bearbeitung von Texten. Grammatik und Rechtschreibung stehen nicht im Fokus, sondern die inhaltliche Argumentation. Sprachformales rückt bei dieser Diskussionsform in den Hintergrund.

Viel Spass beim Ausprobieren mit der Klasse!

Adaptive und personalisierte Lernsysteme

Der Heterogenität einer Klasse gerecht werden…
Schülerinnen und Schüler individuell fordern und fördern…
Personalisierte und niveauangepasste Aufgabenstellungen zur Verfügung stellen…
Formative Leistungserhebungen und daraus abgeleitete förderorientierte Lernpläne erstellen…
Die eigene Persönlichkeit entfalten und Kompetenzen vielseitig erweitern!

Die Versprechen adaptiver Lernsysteme lassen sich auf der Zunge zergehen. Auch die Erwartungshaltung vieler Lehrpersonen, mich eingeschlossen, sind dementsprechend hoch – vielfach vielleicht zu hoch oder (noch) unrealistisch. Versprechen dieses Kalibers lassen auch mein Pädagogen-Herz pochen und höherschlagen. Doch betrachte ich die aktuelle Situation mit der notwendigen Nüchternheit, dämpft sich meine anfängliche Euphorie und mein Herzschlag stabilisiert sich rasch wieder…

Vielleicht habe ich mir zu viel erhofft, vielleicht habe das heilbringende Lernsystem noch nicht gefunden oder vielleicht bin ich doch auch einfach zu gerne «Lehrperson, die vor der Klasse steht und mit den Jugendlichen gemeinsam etwas erschafft», aber bis jetzt haben mich adaptive Lern- und Testverfahren enttäuscht.

Meine Schülerinnen und Schüler finden zunächst Gefallen an dieser Art des selbstständigen Arbeitens. Auch ihre Augen werden bei den gemachten Versprechen grösser.
Adaptive Lernsysteme verorten Wissen und darauf abgestimmte Aufgabenstellungen meist in grösseren Kompetenzbereichen. Die Kompetenzbereiche decken dann jeweils weitere Teilkompetenzen ab.
Es ist eine Herausforderung, die Übersicht zu behalten. Meist beginnen die Lernsysteme mit einer Lernstandserhebung. Die Schüler lösen ein Aufgabenset und werden anschliessend in Niveaugruppen klassifiziert. Das System spuckt einen Zahlenwert aus, welchen man mit Hilfe einer Kompetenzskala interpretieren kann.

Anfänglich scheint es auch für die Lernenden interessant, Wissen zu klassifizieren und mit einem numerischen Wert ihre eigene Leistung im Vergleich mit Gleichaltrigen abschätzen zu können. Zwei Monate später stosse ich dann aber nicht selten auf Verwunderung, wenn mir meine Schüler berichten, dass ihre zweite Lernstandserhebung schlechter ausgefallen ist, als die erste, obwohl sie während den letzten Wochen pflichtbewusst an den generierten Lernsets gearbeitet haben. Spätestens beim dritten Resultat wird dann die Scheinobjektivität, die das System vorgaukelt, offensichtlich, wenn das Resultat ins andere Extrem ausschlägt.

Aufgabensets werden aufgrund von Momentaufnahmen zusammengestellt. Häufig sind sie wenig strukturiert. Es ist schwierig nachzuvollziehen, in welchen Kompetenzbereichen sich die Lernenden nun weiterentwickeln sollen. Die Resultate sind zu einem gewissen Grad Produkt der Tagesform. Das ist zwar auch im herkömmlichen Unterricht der Fall, doch das System ändert sich hier nicht fortlaufend, sondern ist weitgehend stabil. Besonders kritisch werde ich, wenn die vorgegaukelte Scheinobjektivität für bare Münze genommen wird. Zeugnisse beiseite, zeig mir deine Stellwerk-Resultate!

Keine Frage, auch Rückmeldungen von mir als Lehrperson gaukeln eine gewisse Scheinobjektivität vor. Detaillierte Kriterienraster mit Kompetenzbereichen sollen meine formativen und summativen Rückmeldungen «objektivieren», doch schliesslich fliesst immer noch eine ganze Menge Subjektivität in die Zusammenarbeit mit ein. Zurecht, wie ich finde.

Ich erkenne positive Aspekte bei adaptiven Lernverfahren, ich erkenne den Mehrwert! Nur bis anhin habe ich ihn noch nicht richtig fassen können. Und so frage ich mich nach einer ernüchternden Stunde im Computerraum:

  • Ist Lernen nicht doch eine hochgradig soziale Aktivität?
  • Was passiert mit den gesammelten Daten? Wie werden diese ausgewertet? Werden sie weiterverwendet?
  • Trifft der Begriff «Bildungsmonitoring» in diesem Aspekt den Nagel auf den Kopf?
  • Wo bleibt die Kreativität? Empathie? Das vernetzte Denken? Intrinsisches, entdeckendes Lernen?

Schliesslich besinne ich mich wieder und betrachte die Stunde mit einer gewissen Distanz.

Positive Aspekte bleiben: Gewisse Schülerinnen und Schüler arbeiten auch zu Hause mit den Programmen, intrinsisch motiviert! Positive Erfahrungen im Bereich des selbstständigen und selbstorganisierten Lernens werden gesammelt. Einzelne Jugendliche zeigen mir mit Stolz ihre Lernfortschritte; zwar numerisch klassifiziert und nur schwer zu interpretieren, aber es macht den Anschein, als liessen sich hier Selbstwirksamkeitserfahrungen erkennen.

Ich bleibe mit geteilten Gefühlen zurück: Enttäuscht vom Heilsversprechen, aber doch erwartungsvoll und neugierig in die Zukunft blickend. Die Lernenden tippen weiter eifrig auf den Tasten rum, meine damalige Mentorin an der Pädagogischen Hochschule würde vermutlich von einem «hohen Anteil echter Lernzeit sprechen» …
Nur allzu gerne würde ich die Einzelheiten der Lektion mit ihr bis ins kleinste Detail durchkauen, wie das damals üblich war. Käme sie nun mit ihrem Lieblingspädagogen Hilbert Meyer und dem so wichtigen «hohen Anteil echter Lernzeit», würde ich sie wohl  höflich korrigieren. Hohe Schüleraktivität vorhanden, das mit der echten Lernzeit… da bin ich vorsichtiger mit meinem Urteil.

 

App „Fliehen vor dem Holocaust. Meine Begegnung mit Geflüchteten“

Kurzzusammenfassung

  • Eine App, die einen individuellen Zugang zum Holocaust ermöglicht.
  • Fünf Zeitzeuginnen bzw. Zeitzeugen erzählen ihre Geschichte.
  • Die SuS entscheiden sich für eine Person und schauen ihre Geschichte, bearbeiten vertiefende Aufgaben und stellen sich digital ein Dossier zur gewählten Person zusammen.
  • Der zeitliche Rahmen für die Auseinandersetzung mit der Person beträgt 50-75 Minuten.
  • Am Ende erhalten die SuS sowie auch die LP das ausgefüllte Dossier der SuS als vierseitiges PDF-Dokument per E-Mail.
  • Die Auswertung kann im Plenum, individualisiert oder als Gruppenpuzzle erfolgen.

Empfehlenswert, weil…

  • Eindrückliche Zeitzeugenberichte und Interviews mit Holocaust-Überlebenden
  • Vertiefende und personalisierte Aufgabenstellungen stehen zur Verfügung
  • Die SuS erhalten das Dossier mit den wichtigsten Fakten und die Zusammenfassung direkt per E-Mail.
  • Der Bogen zur heutigen Zeit wird gespannt: Was ist «Flucht» heute? Wie gehen wir mit Flüchtlingen um?

Schülermeinungen

  • Positive Aspekte: gute Fragen, übersichtliche Struktur, man kann selbst Themen zu den Videos aussuchen, eigene Gedanken und Meinungen darf man äussern, man kann selbstständig arbeiten, interessante Geschichten, spannende Menschen, regt zum Nachdenken an, es geht auch um die heutige Flüchtlingsthematik
  • Kritikpunkte: noch mehr abwechslungsreiche Aufgaben, teilweise konnte man die Antworten nicht mehr ändern, auf dem Handy eher mühsam (Texte schreiben, Videos schauen)

Liebe Geschichtslehrpersonen

Im Rahmen des 2. Weltkrieges bin ich bei der Vorbereitung auf eine Umsetzungsidee gestossen, die ich ausserordentlich interessant und gelungen finde. Vielleicht ist die Idee ja auch etwas für euch…mir hat sie gefallen!

Angeregt durch einen Artikel in der Zeitschrift «Bildung Schweiz» habe ich die App «Fliehen vor dem Holocaust» heruntergeladen und mich dazu entschlossen, den Holocaust und damit verbundene Zeitzeugenberichte anhand der interaktiven App im Klassenzimmer zu thematisieren.

«Fliehen vor dem Holocaust. Meine Begegnung mit Geflüchteten» ermöglicht einen individualisierten, persönlichen und eindrucksvollen Zugang zum Holocaust. Die Geschichte von fünf Personen wird anhand von zugrundeliegenden Videointerviews und weiterführenden Arbeitsaufträgen thematisiert. Die Lernenden entscheiden sich für eine Person und vertiefen sich, je nach Interesse, in unterschiedlichen Themenbereichen und Geschichtsaspekten. So erstellen sie ihr eigenes Album beziehungsweise gestalten ihre persönliche Begegnung mit Zeitzeugen des Holocausts.

Der Lehrperson steht für die Umsetzung im Unterricht eine detaillierte Handreichung zur Verfügung. Meine Lernenden haben die App als Hausaufgabe auf die kommende Geschichtsstunde heruntergeladen. Dabei liess ich es offen, ob sie die App auf ihrem Smartphone oder Tablet herunterladen wollten. Die Arbeit mit dem Tablet bewährte sich, da die Videos in voller Grösse geschaut und die Antworten über die Tablet-Tastatur unkomplizierter und schneller eingegeben werden konnten. Auch zusätzliche Rechercheaufträge gestalten sich auf dem Tablet einfacher. Während gut 50-75 Minuten haben sie sich in der Thematik vertieft, eigene Schwerpunkte gesetzt und aus erster Hand über Einzelschicksale und welthistorische Ereignisse gelernt.

Ein grosser Vorteil der App sehe ich darin, dass die Lernenden am Ende der Aufgabenreihe ihr persönliches Dossier als pdf-Datei per E-Mail erhalten. Auch kann direkt eine Kopie an die Lehrperson gesendet werden. In der darauffolgenden Lektion werteten wir die Begegnungen und die mitgebrachten Dossiers in der Form eines Gruppenpuzzles aus. Die Lernenden fanden Gefallen an der App; ich ebenfalls!

Apprentissage numérique

Digitaler Fremdsprachenunterricht mit Lernplattformen

Während den vergangenen acht Wochen bin ich mit meiner Klasse im Französischunterricht intensiv in die Welt des digitalen Lernens mit Hilfe von unterschiedlichen Lernplattformen eingetaucht. Nach einer ersten Arbeitsphase ist es nun an der Zeit, ein Zwischenfazit zu ziehen.

Welche Lernplattformen gibt es für den Französischunterricht/Fremdsprachenunterricht?

Es ist nicht ganz einfach, eine Vielzahl von unterschiedlichen und qualitativ ansprechenden Lernplattformen oder Übungssoftwares für den Französischunterricht aufzuzählen. Neben den Lernplattformen, die sich bereits seit geraumer Zeit im Umlauf befinden und Einzug in den Schulalltag gefunden haben wie beispielsweise «Schularena», «Quizlet» oder «On s’entraine» habe ich auch kostenpflichtige Produkte von privaten Unternehmen getestet. Auf Anfrage gebe ich gerne Auskunft über die dabei gemachten Erfahrungen mit den getesteten Plattformen.

Qualitativ gute gratis e-Learning-Plattformen sind aus nachvollziehbaren Gründen nicht ganz einfach zu finden. Ich persönlich arbeite noch gerne mit «Bonjour-de-France». Mittlerweise gibt es eine Reihe von kostenpflichtigen Angeboten, die teils adaptiv und ansprechend/motivierend gestaltet sind. Eine gute Übersicht dazu gibt die Seite «Online-Sprachen-Lernen».

Wie sind solche Lernplattformen aufgebaut?

Neben den wenigen digitalen Lernplattformen, die auf den vorhandenen Lehrmitteln basieren, orientieren sich die meisten Lernplattformen am Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GeRS). In unterschiedlich gegliederten Unterrichtseinheiten werden meist grammatikalische und teils kommunikative Sprachkompetenzen erworben und gefördert. Die Lernenden können selbstständig nach ihren Interessen und nach ihrem eigenen Rhythmus an den Inhalten arbeiten. Häufig wird dabei zuerst die Theorie präsentiert, bevor Vertiefungs- und Überprüfungsaufgaben gelöst werden können (deduktive Herangehensweise). Die Lehrperson begleitet und unterstützt dabei die Schülerinnen und Schüler im Lernprozess. Bei vielen Lernplattformen gibt es erweiterte Nutzungsrechte für Lehrpersonen, um den Lernprozess der Schüler/innen im Überblick zu behalten.

Einige Vorteile von digitalen Lernplattformen

  • Anregende, motivierende Ergänzung zu den vorhandenen Lehrmitteln
  • Teils ansprechend animierte Videos inklusive Transkribt
  • Förderung der Selbstständigkeit und Selbstorganisation der Lernenden
  • Klare Struktur – häufig benutzerfreundliches und intuitives Layout
  • Transparente Lernzielorientierung (sehr unterschiedlich)
  • Direktes Feedback durch digitale Auswertung (ressourcenorientiertes Arbeiten)
  • Möglichkeiten zur Differenzierung nach Niveau, Interesse, Lerntyp, etc.
  • Wenig Papier
  • Smartphone-kompatible Websites (immer mehr im Umlauf)
  • Je nach Plattform teils erweiterte Nutzungsrechte für Lehrpersonen (Codes für Tests, Übersicht Leistungen und Aktivität der Lernenden, Transkribte, etc.)

Kritische Punkte

  • Als Lehrperson ist es schwierig, beim individualisierten Arbeiten den Überblick zu behalten. Hier bietet sich die Arbeit mit Lernjournalen und Erkenntnisberichten an.
  • Sprechsituationen und Sprechübungen müssen häufig ergänzt werden (der kommunikative Aspekt kommt eher zu kurz)
  • Binäres Auswertungssystem: Es gibt nur «richtig» oder «falsch», es gibt keine halben Punkte (z.B. «accent aigu» vergessen/Einzahl-Plural).
  • Die Lernenden müssen meist ihr eigenes Sprachniveau gut kennen, um gezielt niveaugerechte Aufgaben lösen zu können. Einzelne Lernenden werden hier überfordert sein (hier ist die Unterstützung durch die Lehrperson zentral).
  • Datenintensive Videos: Bei einer schlechten Internetverbindung laden einzelne Dateien nicht oder nur sehr langsam. (schulinterne Unterschiede)
  • Sprachenlernen ist hier teilweise Selbstzweck, was durchaus auch seine Berechtigung aufweist und keinesfalls nur negativ gewertet werden soll. Neueren Entwicklungen der Fremdsprachendidaktik wie dem Communicative Language Approach oder dem Task-Based-Learning (Apprentissage par tâches, acteurs sociaux) wird dabei allerdings wenig Rechnung getragen.
  • Viele Lernplattformen und gratis Übungssoftwares weisen keinen adaptiven Charakter auf (Anpassung an den aktuellen Sprachstand der Lernenden). Es bleibt abzuwarten, ob alternative Angebote wie «Lernpass» ähnliche und/oder erweiterte Möglichkeiten in Bezug auf digitales Lernen bieten.

Digitale Lernplattformen und Übungssoftwares – eine Alternative zum Lehrmittel?

Ja, meines Erachtens kann man sie als Alternative zu den aktuellen physischen Lehrmitteln betrachtet. Hier gilt es zu berücksichtigen, dass sich viele Programme primär am GeRS orientieren. Weiterführende Schulen orientieren sich indes noch stark an den kantonal empfohlenen und/oder teils vorgeschriebenen Lehrmitteln. Die Lernplattformen können somit gut als Ergänzung zu den bestehenden Lehrmitteln eingesetzt werden. Ausserdem bieten sie Möglichkeiten für förderorientierte und individualisierte Unterrichtsgefässe, welche nach dem Prinzip des selbstorganisierten Lernens (SOL) aufgebaut sind.

Meine Klasse hat grundsätzlich ein sehr positives Fazit zur Arbeit mit den digitalen Lernplattformen gezogen.

Exemplarische Aussagen einzelner Schülerinnen und Schüler

  • «Ein grosser Unterschied war, dass wir kaum Zeug brauchten. Sonst war es sehr mühsam mit den Büchern.»
  • «Die spielerischen Aufgaben waren cool. Die Theorie sollte noch auf Deutsch übersetzt werden.»
  • «Ich kann in meinem eigenen Tempo arbeiten.»
  • «Es macht viel mehr Spass am Tablet zu arbeiten, weil man selbstständiger sein muss.»
  • „Die Theorieaufgaben machen mir besonders viel Spass.»
  • «Ein Nachteil ist, dass es einen ganzen Punkt Abzug gibt, wenn man einen Fehler hat.»
  • «Es macht Spass. Man lernt nur elektronisch und nicht mit dem Buch/Heft.»
  • «Es hat ein bisschen viel Text und (fast) keine Videos.»
  • «Ich würde gerne weiterhin so arbeiten, weil meine Motivation mehr da ist und ich sehe meine Fortschritte an den Punkten.»
  • «Wenn ich etwas ändern könnte, würde ich mehr spielerische Aufgaben erstellen.»
  • «Ich bevorzuge Envol, weil es mehr mit der Klasse ist.»

PenPals-Project

 Kulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht oder «von der Liebe zu Donuts»

Fremdsprachenerwerb ist für mich im besten Fall gleichzusetzen mit kulturellem Lernen. Weshalb lernen die Schüler/innen denn eine Fremdsprache? Um Lehrpersonen innerhalb des Klassenzimmers zu beeindrucken? Um zukünftige Arbeitgeber mit offiziell anerkannten Diplomen zu beeindrucken? Naja, vielleicht ja auch…aber das Erlernen einer Fremdsprache soll in erster Linie den Lernenden die Möglichkeit bieten, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten und den eigenen Erfahrungshorizont zu erweitern.

Letzte Woche habe ich mit meiner Klasse am Projekt «World Explorers» von PenPalSchools gestartet. Über einen Zeitraum von sechs Wochen kommunizieren und interagieren meine Schüler/innen nun mit anderen Jugendlichen aus allen Kontinenten. Eine wöchentliche Einstiegslektion bietet nebst einer inhaltlichen Gesprächsgrundlage weitere sprachliche Hilfestellungen wie neues Vokabular oder sprachstrukturelle Hilfen (z.B. Wie formuliere ich eine Frage?).

Penpal Schools wird bereits von über 15’000 Lehrpersonen in 144 Ländern verwendet. Für die ersten 5 Lehrpersonen pro Schulhaus ist das Programm derzeit noch kostenlos. Die Seite eignet sich um authentisches Fremdsprachenlernen in der direkten Interaktion mit anderen Lernenden zu fördern. Die Partnerschulen werden geprüft und sind vertrauenswürdig. Aus kulturellen Gründen werden allen Lernenden vier weitere Penpals des gleichen Alters und Geschlechts zugeordnet. Auch haben die Penpals eine vergleichbare Sprachkompetenz. Als Lehrperson steht mir ein Dashboard zur Verfügung, auf welchem ich die asynchronen Chatverläufe meiner Klasse lesen, überprüfen, kommentieren und bewerten kann.

Die Schüler/innen freuten sich enorm darauf, das Lehrmittel einmal beiseite zu legen und über die digitale Welt in andere Kulturen einzutauchen. Nun arbeiten wir jeweils montags mit PenPalSchools und trainieren damit unsere Lesekompetenzen, verfeinern unsere sprachliche Ausdrucksfähigkeit, erwerben neues Vokabular, lernen, was es heisst, sich im Internet darzustellen und was das Leben auf anderen Erdteilen zu bieten hat.

Dabei werden sowohl kulturelle Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten erkannt. So stellte einer meiner Schüler mit Freude fest, dass auch in Amerika (wer hätte es gedacht?) Donuts auf dem Tagesprogramm stehen…

Ob vor oder nach dem Zähneputzen – wie bei meinem Schüler – ist dabei offengeblieben :-)…

 

Marc Helbling, Oktober 2017