Wahrscheinlich hat jede Lehrperson schon einmal diese Erfahrung gemacht: Wir zeigen den Lernenden einen einfachen Bedienungschritt z.B. wie sie ihre Bewerbungsunterlagen in einen ZIP-Ordner verwandeln. können und glauben das sei dann innerhalb kürzester Zeit erledigt. Ein-, zwei mal Ziehen mit der Maus, ein Klick hier, ein Klick da, rechte Maustaste und dann noch benennen und Voilà nach einer Minute wir haben es das erste Mal erklärt. Wir schauen in die Klasse und was sehen wir? Leere Blicke, ratlose Stille, die plötzlich von einem „SIEEEE chönd sie das numal zeige?“ unterbrochen wird. Natürlich können wir das nochmals zeigen! Was wären wir denn für Lehrer, wenn wir es nicht tun würden. Also nochmals ein-, zwei Mal Ziehen mit der Maus, ein Klick hier, ein Klick da, rechte Maustaste und dann noch benennen. So, das muss nun aber wirklich reichen. Und tatsächlich, die ratlosen Blicke sind verschwunden, alle sind nun fleissig am Klicken. Doch dann schiessen die ersten Hände Richtung Decke. „SIEEEE chönd sie mal cho ga luege?“ Natürlich komme ich, was wäre ich für ein Lehrer, wenn ich das nicht tun würde? Wir gehen also zum ersten Lernenden, der mit dem Finger auf den Bildschirm zeigt „Was muss ich jetzt mache?“. In aller Ruhe erkläre ich es einigen Schülern ein drittes Mal persönlich. Aus den geplanten 5 Minuten ist mittlerweile eine viertel Stunde geworden, nach der die Mehrheit es mittlerweile zwar geschafft hat, aber einige Lernende immer noch mit ratlosem Blick auf ihren Mauszeiger starren.
Es sind Momente wie diese, welche einen überzeugten digitalen Autodidakten und Selbstentdecker wieder zu einem Freund von Anleitungen gemacht hat. Es ist eben oft nicht nur einfach schnell schnell etwas zeigen, und selbst herausfinden lassen wie sie etwas das erste Mal tun sollen, ist zu zeitintensiv und mühsam. Konsequenterweise müsste ich dann auch die individuelle Anleitung auf Nachfrage verweigern, um den autodidaktischen Prozess nicht zu sabotieren. Die Problematik beim „Selbstentdecken“ besteht auch schlicht und ergreifend darin, dass sie nur insofern „selber entdecken“, als dass sie selber nach einer Anleitung suchen, statt dass die Lehrperson ihnen diese zur Verfügung stellt. Das ist eine gute Übung, aber oft nicht praktikabel und sinnvoll. Ich persönlich bin deshalb von meiner früheren Begeisterung für das „Selberentdecken“ wieder etwas weggekommen, hin zu visualisierten Anleitungen, welche sich auch viel besser und effizienter in selbstorgansierte Lernformen einbinden lassen. Ich nutze dazu eine App namens „Scribe“. Eine für den Browser kostenlose – für den Desktop kostenpflichtige App, welche für ausgeführte Schritte automatisch Anleitungen mit Text und Bild generiert. Im Prinzip muss ich die Schritte, die ich den Lernenden zeigen möchte, nur einmal selbst ausführen und erhalte dann Bild- und Texterklärungen von dem, was ich getan habe. Diese muss ich dann nur noch ein wenig ergänzen, oder sensible Daten auf den Screenshots zensieren. Die Anleitung kann ich dann als PDF exportieren, oder als Weblink den Lernenden oder auch anderen Lehrpersonen zur Verfügung stellen.
Vielleicht habe ich Anleitungen auch deshalb wieder liebgewonnen, weil ich nicht mehr Klassenlehrer bin und mir als Fachlehrer mit vielen verschiedenen Klassen und noch weniger Lektionen einfach zu wenig Zeit zur Verfügung steht, um Lernende jede Anwendung selber entdecken zu lassen. Nach regelmässigem Einholen von Feedback kann ich auch ohne schlechtes Gewissen behaupten, dass die Lernenden die Anleitungen schätzen und mündlichen „Schaut alle mal nach vorne“-Erklärungen vorziehen. Mein Unterricht hat dadurch wieder an Struktur und effektiver Lernzeit gewonnen, da Lernende in ihrem eigenen Wissenstand und Tempo die Anleitungen nachvollziehen können. Wie immer im Dasein einer Lehrperson gibt es keine „One size fits all“-Lösung – sondern nur eine möglichst gute Lösung für eine ganz bestimmte Situation.
Beispiele von mit Scribe erstellten Anleitungen.