Adaptive und personalisierte Lernsysteme

Der Heterogenität einer Klasse gerecht werden…
Schülerinnen und Schüler individuell fordern und fördern…
Personalisierte und niveauangepasste Aufgabenstellungen zur Verfügung stellen…
Formative Leistungserhebungen und daraus abgeleitete förderorientierte Lernpläne erstellen…
Die eigene Persönlichkeit entfalten und Kompetenzen vielseitig erweitern!

Die Versprechen adaptiver Lernsysteme lassen sich auf der Zunge zergehen. Auch die Erwartungshaltung vieler Lehrpersonen, mich eingeschlossen, sind dementsprechend hoch – vielfach vielleicht zu hoch oder (noch) unrealistisch. Versprechen dieses Kalibers lassen auch mein Pädagogen-Herz pochen und höherschlagen. Doch betrachte ich die aktuelle Situation mit der notwendigen Nüchternheit, dämpft sich meine anfängliche Euphorie und mein Herzschlag stabilisiert sich rasch wieder…

Vielleicht habe ich mir zu viel erhofft, vielleicht habe das heilbringende Lernsystem noch nicht gefunden oder vielleicht bin ich doch auch einfach zu gerne «Lehrperson, die vor der Klasse steht und mit den Jugendlichen gemeinsam etwas erschafft», aber bis jetzt haben mich adaptive Lern- und Testverfahren enttäuscht.

Meine Schülerinnen und Schüler finden zunächst Gefallen an dieser Art des selbstständigen Arbeitens. Auch ihre Augen werden bei den gemachten Versprechen grösser.
Adaptive Lernsysteme verorten Wissen und darauf abgestimmte Aufgabenstellungen meist in grösseren Kompetenzbereichen. Die Kompetenzbereiche decken dann jeweils weitere Teilkompetenzen ab.
Es ist eine Herausforderung, die Übersicht zu behalten. Meist beginnen die Lernsysteme mit einer Lernstandserhebung. Die Schüler lösen ein Aufgabenset und werden anschliessend in Niveaugruppen klassifiziert. Das System spuckt einen Zahlenwert aus, welchen man mit Hilfe einer Kompetenzskala interpretieren kann.

Anfänglich scheint es auch für die Lernenden interessant, Wissen zu klassifizieren und mit einem numerischen Wert ihre eigene Leistung im Vergleich mit Gleichaltrigen abschätzen zu können. Zwei Monate später stosse ich dann aber nicht selten auf Verwunderung, wenn mir meine Schüler berichten, dass ihre zweite Lernstandserhebung schlechter ausgefallen ist, als die erste, obwohl sie während den letzten Wochen pflichtbewusst an den generierten Lernsets gearbeitet haben. Spätestens beim dritten Resultat wird dann die Scheinobjektivität, die das System vorgaukelt, offensichtlich, wenn das Resultat ins andere Extrem ausschlägt.

Aufgabensets werden aufgrund von Momentaufnahmen zusammengestellt. Häufig sind sie wenig strukturiert. Es ist schwierig nachzuvollziehen, in welchen Kompetenzbereichen sich die Lernenden nun weiterentwickeln sollen. Die Resultate sind zu einem gewissen Grad Produkt der Tagesform. Das ist zwar auch im herkömmlichen Unterricht der Fall, doch das System ändert sich hier nicht fortlaufend, sondern ist weitgehend stabil. Besonders kritisch werde ich, wenn die vorgegaukelte Scheinobjektivität für bare Münze genommen wird. Zeugnisse beiseite, zeig mir deine Stellwerk-Resultate!

Keine Frage, auch Rückmeldungen von mir als Lehrperson gaukeln eine gewisse Scheinobjektivität vor. Detaillierte Kriterienraster mit Kompetenzbereichen sollen meine formativen und summativen Rückmeldungen «objektivieren», doch schliesslich fliesst immer noch eine ganze Menge Subjektivität in die Zusammenarbeit mit ein. Zurecht, wie ich finde.

Ich erkenne positive Aspekte bei adaptiven Lernverfahren, ich erkenne den Mehrwert! Nur bis anhin habe ich ihn noch nicht richtig fassen können. Und so frage ich mich nach einer ernüchternden Stunde im Computerraum:

  • Ist Lernen nicht doch eine hochgradig soziale Aktivität?
  • Was passiert mit den gesammelten Daten? Wie werden diese ausgewertet? Werden sie weiterverwendet?
  • Trifft der Begriff «Bildungsmonitoring» in diesem Aspekt den Nagel auf den Kopf?
  • Wo bleibt die Kreativität? Empathie? Das vernetzte Denken? Intrinsisches, entdeckendes Lernen?

Schliesslich besinne ich mich wieder und betrachte die Stunde mit einer gewissen Distanz.

Positive Aspekte bleiben: Gewisse Schülerinnen und Schüler arbeiten auch zu Hause mit den Programmen, intrinsisch motiviert! Positive Erfahrungen im Bereich des selbstständigen und selbstorganisierten Lernens werden gesammelt. Einzelne Jugendliche zeigen mir mit Stolz ihre Lernfortschritte; zwar numerisch klassifiziert und nur schwer zu interpretieren, aber es macht den Anschein, als liessen sich hier Selbstwirksamkeitserfahrungen erkennen.

Ich bleibe mit geteilten Gefühlen zurück: Enttäuscht vom Heilsversprechen, aber doch erwartungsvoll und neugierig in die Zukunft blickend. Die Lernenden tippen weiter eifrig auf den Tasten rum, meine damalige Mentorin an der Pädagogischen Hochschule würde vermutlich von einem «hohen Anteil echter Lernzeit sprechen» …
Nur allzu gerne würde ich die Einzelheiten der Lektion mit ihr bis ins kleinste Detail durchkauen, wie das damals üblich war. Käme sie nun mit ihrem Lieblingspädagogen Hilbert Meyer und dem so wichtigen «hohen Anteil echter Lernzeit», würde ich sie wohl  höflich korrigieren. Hohe Schüleraktivität vorhanden, das mit der echten Lernzeit… da bin ich vorsichtiger mit meinem Urteil.

 

Apprentissage numérique

Digitaler Fremdsprachenunterricht mit Lernplattformen

Während den vergangenen acht Wochen bin ich mit meiner Klasse im Französischunterricht intensiv in die Welt des digitalen Lernens mit Hilfe von unterschiedlichen Lernplattformen eingetaucht. Nach einer ersten Arbeitsphase ist es nun an der Zeit, ein Zwischenfazit zu ziehen.

Welche Lernplattformen gibt es für den Französischunterricht/Fremdsprachenunterricht?

Es ist nicht ganz einfach, eine Vielzahl von unterschiedlichen und qualitativ ansprechenden Lernplattformen oder Übungssoftwares für den Französischunterricht aufzuzählen. Neben den Lernplattformen, die sich bereits seit geraumer Zeit im Umlauf befinden und Einzug in den Schulalltag gefunden haben wie beispielsweise «Schularena», «Quizlet» oder «On s’entraine» habe ich auch kostenpflichtige Produkte von privaten Unternehmen getestet. Auf Anfrage gebe ich gerne Auskunft über die dabei gemachten Erfahrungen mit den getesteten Plattformen.

Qualitativ gute gratis e-Learning-Plattformen sind aus nachvollziehbaren Gründen nicht ganz einfach zu finden. Ich persönlich arbeite noch gerne mit «Bonjour-de-France». Mittlerweise gibt es eine Reihe von kostenpflichtigen Angeboten, die teils adaptiv und ansprechend/motivierend gestaltet sind. Eine gute Übersicht dazu gibt die Seite «Online-Sprachen-Lernen».

Wie sind solche Lernplattformen aufgebaut?

Neben den wenigen digitalen Lernplattformen, die auf den vorhandenen Lehrmitteln basieren, orientieren sich die meisten Lernplattformen am Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GeRS). In unterschiedlich gegliederten Unterrichtseinheiten werden meist grammatikalische und teils kommunikative Sprachkompetenzen erworben und gefördert. Die Lernenden können selbstständig nach ihren Interessen und nach ihrem eigenen Rhythmus an den Inhalten arbeiten. Häufig wird dabei zuerst die Theorie präsentiert, bevor Vertiefungs- und Überprüfungsaufgaben gelöst werden können (deduktive Herangehensweise). Die Lehrperson begleitet und unterstützt dabei die Schülerinnen und Schüler im Lernprozess. Bei vielen Lernplattformen gibt es erweiterte Nutzungsrechte für Lehrpersonen, um den Lernprozess der Schüler/innen im Überblick zu behalten.

Einige Vorteile von digitalen Lernplattformen

  • Anregende, motivierende Ergänzung zu den vorhandenen Lehrmitteln
  • Teils ansprechend animierte Videos inklusive Transkribt
  • Förderung der Selbstständigkeit und Selbstorganisation der Lernenden
  • Klare Struktur – häufig benutzerfreundliches und intuitives Layout
  • Transparente Lernzielorientierung (sehr unterschiedlich)
  • Direktes Feedback durch digitale Auswertung (ressourcenorientiertes Arbeiten)
  • Möglichkeiten zur Differenzierung nach Niveau, Interesse, Lerntyp, etc.
  • Wenig Papier
  • Smartphone-kompatible Websites (immer mehr im Umlauf)
  • Je nach Plattform teils erweiterte Nutzungsrechte für Lehrpersonen (Codes für Tests, Übersicht Leistungen und Aktivität der Lernenden, Transkribte, etc.)

Kritische Punkte

  • Als Lehrperson ist es schwierig, beim individualisierten Arbeiten den Überblick zu behalten. Hier bietet sich die Arbeit mit Lernjournalen und Erkenntnisberichten an.
  • Sprechsituationen und Sprechübungen müssen häufig ergänzt werden (der kommunikative Aspekt kommt eher zu kurz)
  • Binäres Auswertungssystem: Es gibt nur «richtig» oder «falsch», es gibt keine halben Punkte (z.B. «accent aigu» vergessen/Einzahl-Plural).
  • Die Lernenden müssen meist ihr eigenes Sprachniveau gut kennen, um gezielt niveaugerechte Aufgaben lösen zu können. Einzelne Lernenden werden hier überfordert sein (hier ist die Unterstützung durch die Lehrperson zentral).
  • Datenintensive Videos: Bei einer schlechten Internetverbindung laden einzelne Dateien nicht oder nur sehr langsam. (schulinterne Unterschiede)
  • Sprachenlernen ist hier teilweise Selbstzweck, was durchaus auch seine Berechtigung aufweist und keinesfalls nur negativ gewertet werden soll. Neueren Entwicklungen der Fremdsprachendidaktik wie dem Communicative Language Approach oder dem Task-Based-Learning (Apprentissage par tâches, acteurs sociaux) wird dabei allerdings wenig Rechnung getragen.
  • Viele Lernplattformen und gratis Übungssoftwares weisen keinen adaptiven Charakter auf (Anpassung an den aktuellen Sprachstand der Lernenden). Es bleibt abzuwarten, ob alternative Angebote wie «Lernpass» ähnliche und/oder erweiterte Möglichkeiten in Bezug auf digitales Lernen bieten.

Digitale Lernplattformen und Übungssoftwares – eine Alternative zum Lehrmittel?

Ja, meines Erachtens kann man sie als Alternative zu den aktuellen physischen Lehrmitteln betrachtet. Hier gilt es zu berücksichtigen, dass sich viele Programme primär am GeRS orientieren. Weiterführende Schulen orientieren sich indes noch stark an den kantonal empfohlenen und/oder teils vorgeschriebenen Lehrmitteln. Die Lernplattformen können somit gut als Ergänzung zu den bestehenden Lehrmitteln eingesetzt werden. Ausserdem bieten sie Möglichkeiten für förderorientierte und individualisierte Unterrichtsgefässe, welche nach dem Prinzip des selbstorganisierten Lernens (SOL) aufgebaut sind.

Meine Klasse hat grundsätzlich ein sehr positives Fazit zur Arbeit mit den digitalen Lernplattformen gezogen.

Exemplarische Aussagen einzelner Schülerinnen und Schüler

  • «Ein grosser Unterschied war, dass wir kaum Zeug brauchten. Sonst war es sehr mühsam mit den Büchern.»
  • «Die spielerischen Aufgaben waren cool. Die Theorie sollte noch auf Deutsch übersetzt werden.»
  • «Ich kann in meinem eigenen Tempo arbeiten.»
  • «Es macht viel mehr Spass am Tablet zu arbeiten, weil man selbstständiger sein muss.»
  • „Die Theorieaufgaben machen mir besonders viel Spass.»
  • «Ein Nachteil ist, dass es einen ganzen Punkt Abzug gibt, wenn man einen Fehler hat.»
  • «Es macht Spass. Man lernt nur elektronisch und nicht mit dem Buch/Heft.»
  • «Es hat ein bisschen viel Text und (fast) keine Videos.»
  • «Ich würde gerne weiterhin so arbeiten, weil meine Motivation mehr da ist und ich sehe meine Fortschritte an den Punkten.»
  • «Wenn ich etwas ändern könnte, würde ich mehr spielerische Aufgaben erstellen.»
  • «Ich bevorzuge Envol, weil es mehr mit der Klasse ist.»