Texte schaffen am Computer – Ein notwendiges Übel der Zeit?

Kürzlich war ich auf Besuch bei einem guten Freund, der zwar kein Lehrer ist, allerdings Germanistik studiert. Wir diskutierten, ja stritten uns darüber, ob das Schreiben von Aufsätzen am Computer «zum Zerfall der deutschen Sprache» (Zitat Kollege) beiträgt. Die Aussage war wohl nicht ganz ernst gemeint und in vielen Punkten waren wir einer Meinung, doch irgendwie hat mich die ganze Diskussion nicht losgelassen und auch später noch beschäftigt.

Ich selbst schreibe vieles von Hand. Im Studium haben wir gelernt, dass das handschriftliche Anfertigen von Notizen zu einer grösseren Verarbeitungstiefe führt. Dabei besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem Umformulieren und Restrukturieren von fremden Ideen und der bewussten inhaltlichen Verarbeitung beim Schreibprozess. Klingt ja durchaus einleuchtend, macht Sinn…und schliesslich bin ich ja auch so aufgewachsen: In der Schule hatten wir keine Tablets oder ein schickes Smartboard; der Stift war unser einziger Feind (ähh Freund). Gerne geschrieben habe ich nämlich nie, das hat sich heute geändert.

Deutschlehrpersonen können ein Lied von der teils mühseligen Korrektur von Texten nach formalen Kriterien singen. Von vielen Seiten höre ich aus meinem Berufsfeld und aus meinem Bekanntenkreis, „dass die heutige Jugend keinen anständigen Satz mehr schreiben kann. Die Jugendlichen kleben ja nur noch an ihren Bildschirmen, ein gutes Buch dient selten dem Zeitvertreib.“  Nun gut, als Deutschlehrer muss ich ja irgendwie Stellung beziehen… Die Behauptungen mögen zum Teil ja berechtigt sein, dennoch haben sie viele Ursachen und stehen meines Erachtens in keinem direkten Zusammenhang zur Digitalisierung.

Als Reallehrperson stelle ich fest, dass ein Grossteil meiner Klasse Probleme mit der Grammatik und Rechtschreibung hat. Die Korrektur und Überarbeitung von Texten gestaltet sich schwierig, das Blatt wird in rote Farbe getunkt und die Frustration steigt – auf beiden Seiten. Irgendwie kommt mir das bekannt vor aus meiner Schulzeit…

Spätestens seit der Einführung des LP21 steht nun fest, dass auch im Deutschunterricht Anwendungskompetenzen aus dem Bereich „Medien und Informatik“ gefördert werden sollen. Dazu gehört auch die Arbeit mit Textverarbeitungsprogrammen. Dies führt bei einigen meiner Kolleginnen und Kollegen zu Unmut: Im Deutschunterricht steht nun noch weniger Zeit zur eigentlichen Arbeit an der Sprache zur Verfügung! Ganz nüchtern betrachtet durchaus korrekt, doch meines Erachtens kann die Zeit auch intensiver genutzt werden.

Bei einem Grossteil meiner Aufsätze machen sich meine Schülerinnen und Schüler die Korrekturfunktion von Word zu Nutze. Die handlungsorientierte Einführung braucht Zeit, lohnt sich jedoch. Des Weiteren habe ich mit ihnen verschiedene online-Rechtschreibhilfen angeschaut und thematisiert, wie beispielsweise «LanguageTool» oder die online Rechtschreibprüfung von Duden. Die Schülerinnen und Schüler werden dadurch auf ihre sprachlichen Schwierigkeiten  aufmerksam gemacht und sensibilisiert, ausserdem erhalten sie umgehend Vorschläge, Alternativen und Theorieerklärungen zu den gemachten Fehlern. Seither gibt es weniger schnippende Finger im Raum, die Schüler/innen können sich selber helfen.

Hinzu kommt, dass ich als Lehrperson Texte auf Word schneller überarbeiten und differenziertere Hilfestellungen anbieten kann. Die Korrekturfunktion von Word ermöglicht es mir, einzelne Textausschnitte hervorzuheben und mit kurzen Kommentaren zu versehen (vgl. Beispiel Schüleraufsatz). Der ursprüngliche Text bleibt bestehen und die Lernenden erhalten die Möglichkeit, den Text unter Berücksichtigung meiner Hilfestellungen und Anregungen zu überarbeiten.

Des Weiteren ist bekannt, dass der Schreibprozess keineswegs linear ist. Textabschnitte werden gestrichen, verändert oder hinzugefügt. An der Sprache wird «gearbeitet», ein Text wird «geschaffen». Bei einem von Hand geschriebenen Text (lineare Ausführung, nicht-linearer Prozess) führt das a.) wie bei mir zu einem visuellen Chaos, b.) zu einer Schreibblockade oder c.) zu Schreibhemmungen, die wiederum dazu führen, dass der Text, trotz vielleicht prickelnder Ideen, so belassen wird, wie er eben gerade niedergeschrieben wurde. Viele meiner Schülerinnen und Schüler teilen mir mit, dass sie lieber am Computer schreiben, da es für sie so leichter ist, Ideen auszuformulieren und Texte zu bearbeiten.

Kann man also die Provokation meines Kumpels umdrehen und behaupten, dass der Computer die deutsche Sprache rettet? Naja, nicht wirklich… Fehler wiederholen sich weiterhin, sodass mir die Haare zu Berge stehen, die Ideenfindungsphase gestaltet sich nach wie vor schwierig, Grammatik- und Rechtschreibfehler liegen trotz Korrekturprogrammen und Rechtschreibhilfen an der Tagesordnung.

Fazit: Texte schaffen ist und bleibt harte Arbeit; ist anspruchsvoll, mühsam, zeitweilen kreativ und erfüllend, häufig aber auch frustrierend. Das Medium ändert, die Schwierigkeiten bleiben bestehen, aber neue Möglichkeiten zeigen sich.

Vor zwei Wochen musste ich einer Schülerin ihr Bewerbungsschreiben für die Schnupperlehre ausdrucken. Einzelne Fehler gab es zwar noch, dennoch war das Schreiben sowohl inhaltlich als auch sprachlich ansprechend verfasst. Als ich sie darauf ansprach, hat mich ihre Antwort gefreut: «Deutsch ist eigentlich nicht so mein Ding. Leider können mir meine Eltern nicht helfen, deshalb bin ich froh, dass mir wenigstens mein Tablet ein bisschen hilft.»

Die Schnupperlehre hat sie schliesslich gekriegt.

Gruselnacht bei Kerzenschein – Mein eigenes Hörspiel

Beispiel Hörspiel: Das geheimnisumwobene Kloster (Samuel & Lukas)

Gruselgeschichten fesseln uns, sorgen für Gänsehaut, lassen die Haare zu Berge stehen und faszinieren uns seit jeher. Ausserdem sind sie auf textueller und struktureller Ebene anspruchsvoll. Eine gute Gruselgeschichte erzeugt Spannung, schafft eine Atmosphäre, die zum Eintauchen einlädt, zeichnet sich aus durch passenden Wortschatz, einen unwiderstehlichen roten Faden und eine gekonnte Leserführung.

Motiviert durch die Kooperation mit der PHSZ entschied ich mich dazu, das Projekt «Gruselgeschichte» noch einen Schritt weiterzutreiben. Nachdem die Gruselgeschichten erarbeitet und geschrieben wurden, wurden die Geschichten als Hörspiel aufbereitet und vertont. Dabei arbeiteten wir mit dem Gratis-Tonstudio «Audacity», bei dem mehrere Tonspuren übereinandergelegt und bearbeitet werden können. So hatten die Schüler/innen die Möglichkeit, den selbstgeschriebenen Text packend, angeleitet durch Kriterien, vorzulesen und anschliessend mit Hintergrundgeräuschen wie knarrenden Dielen, raschelnden Zweigen oder seltsamen Fusstritten in der Ferne aufzupeppen. Die Arbeit am Text war intensiv, kreativ, die Lernenden motiviert.

Lediglich die Arbeit mit Audacity war zu Beginn eine Herausforderung. Nachdem alle Schüler/innen das Programm auf ihrem Tablet heruntergeladen und installiert hatten, machte ich eine Einführung ins Programm. Auch stellte ich ein persönliches Nachschlagewerk in der Form einer Broschüre zusammen, welches den Lernenden die Grundfunktionen von Audacity näherbrachte. Das Kennenlernen des Programms und die Auseinandersetzung damit waren für viele Lernende eine wirkliche Herausforderung, einige waren überfordert. Auch war das Projekt zeitintensiv, insbesondere die Arbeit mit dem Tonstudio. Dadurch dass die Lernenden mit Hilfe der Broschüre selbstständig arbeiten konnten, hatte ich allerdings die Möglichkeit, auf vorhandene Fragen und Schwierigkeiten individuell einzugehen. Hier war das Vorwissen der Lernenden unterschiedlicher wie es nicht sein könnte. Einzelne Schüler/innen benutzten auch privat mit Audacity verwandte Programme und hatten keine Schwierigkeiten mit der Bearbeitung mehrerer Tonspuren. Andere begannen bei Null und mussten schrittweise an Audacity herangeführt werden. Dennoch: Das digitale Tonstudio ist äusserst benutzerfreundlich und die Grundfunktionen können relativ schnell erlernt und ausgeschöpft werden. Integrativ thematisierten wir dabei auch, ob, in welchem Rahmen und weshalb man Audiodateien von YouTube extrahieren und für eigene Projekte benutzen kann.

Schliesslich reüssierten alle Lernenden mit der Vertonung ihrer eigenen Gruselgeschichte. An einer kalten und nebligen Novembernacht versammelten sich die Klassen bei Kerzenschein und diabolischen Klängen um die erstellten Hörspiele einzuweihen. Edgar Allen Poes Klassiker «The Tell-Tale Heart» bildete den Auftakt, bevor die Schülerkreationen ihre Wirkung entfalteten. Gemeinsam lauschte man den nervenaufreibenden Produktionen, kicherte über kleinere Versprecher und genoss den gemeinsamen Abend beim gemütlichen Beisammensein. Der Höhepunkt bildete schliesslich eine CD mit den Hörspielen aller Lernenden. Ein Abend, der in bester Erinnerung bleiben und durch die CD hoffentlich noch lange weiterleben und nachhallen wird.

Marc Helbling, November 2017

Streiten im Deutschunterricht – Pädagogisch begründet :-)

Als wir neulich die direkte Rede im Unterricht thematisierten und mir wieder einmal auffiel, wie sehr das Wort «sagen» geliebt wird und wie wenig sprachliche Varietät vorhanden ist, entschied ich mich dazu, die redeeinleitenden Verben verstärkt zu thematisieren.

Das Leben ist spannend, abwechslungsreich und voller Emotionen. Dies soll auch durch unsere Sprache widergegeben werden. Nachdem wir uns vertieft mit verschiedenen redeeinleitenden Verben und deren Synonymen auseinandergesetzt haben, stiess ich die Schüler/innen ins kalte Wasser. «Handy hervor – wir streiten jetzt», hiess es meinerseits. Unsichere Blicke, freudiges Grinsen.

Ich bat die Lernenden, sich im Schulhaus zu verteilen und gab eine Streitsituation mit offenem Ende vor. Die Schüler/innen sollten das spontane Streitgespräch gleichzeitig mit dem Voice-Recorder ihres Smartphones während genau einer Minute aufzeichnen. Anschliessend versammelten wir uns wieder im Klassenzimmer und die Lernenden hörten sich mit ihren Kopfhörern nochmals beim Streiten zu. Anschliessend schrieben sie das Gespräch nieder, individuell, und übten so die Zeichensetzung bei der direkten Rede und den abwechslungsreichen Gebrauch von passenden redeeinleitenden Verben. Grammatikunterricht war plötzlich interessant, der Anteil echter Lernzeit hoch.

Besonders interessant war anschliessend der Vergleich der geschriebenen Texte. Welche redeeinleitenden Verben wurden von welchen Lernenden benutzt und wie wurden Emotionen wahrgenommen und anschliessend sprachlich wiedergegeben. So kam es vor, dass eine Schülerin die direkte Rede mit dem Verb «quasseln» und eine andere Schülerin dieselbe Situation mit dem Verb «zurechtweisen» einleitete.

 

Marc Helbling, November 2017